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Thueringer Allgemeine 19.10.13 Artikel 30
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Thueringer Allgemeine 19.10.13 Artikel 30
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Bilder im Rathaus
erzählen Fabeln mit Reineke Fuchs. Hierzu finden sich religiöse
Bezüge. So etwa schreibt Jutta Schuhmacher in S´efer Mi´slé
Su´olim Folgendes: „In der religiösen und weltlichen
hebräischen Dichtung galt es als besonders kunstvoll, möglichst
viele Zitate und Wendungen aus dem originären biblischen Texte zu
lösen und zu einem inhaltlich eigenständigen Werke
zusammenzusetzen. Zweck dieser stilistischen Eigenart war es, den
Leser jeglicher Lektüre auf spielerische Weise mit der heiligen
Schrift zu verbinden.“ Wenn in den Fuchsfabeln in der großen
Rathaushalle des Mühlhäuser Rathauses Bibelzitate zu finden sind,
so fragt sich, für welche Besucher sie gedacht sind, um auf
spielerische Weise in die heiligen Bücher einzuführen.
Auffallend ist
zunächst, dass diese Abbildungen – anders als in der kleinen
Rathaushalle – nicht in einer Flucht stehen und dass die Tonne
unterschiedliche Höhen aufweist. Dafür muss nach meiner Ansicht ein
liturgischer Grund vorliegen. - Im Talmud heißt es, die Synagoge
sollte im jüdischen Wohnviertel möglichst das höchste Gebäude
sein (kleine Rathaustonne).
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Im Gewirr von Gassen das Muehlhaeuser Rathaus mit liturgischer Ost - West - Ausrichtung; Beim hoechsten Gebaeude des Ensembles mueßte es sich um die Synagoge handeln mit dahinterliegemder Judenschule (Jeshiwa).
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An das Gotteshaus wird in einigen Fällen
ein Lehrsaal (Judenschule) angebaut, doch ist dies in der Regel eher
bei wohlhabenden Gemeinden der Fall. Da dort gelehrt und gebetet
wird, setzt dies ein Misrach, ein nach Osten ausgerichtetes Fenster
voraus.
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Rest der Ostwand mit dem Misrachfenster am kleinen Aufgang zum heutigen Suedfluegel des Muehlhaeuser Rathauses
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Dieses Gebäude
konnte mit dem Misrachfenster in Mühlhausen nicht nach Norden gebaut
werden, in diesem Falle man den Zugang zum Judenhof (heute Eingang
zum Ratskeller) verbaut. In die Höhe zu bauen war ausgeschlossen, da
die Synagoge als höchstes Gebäude zeichnet. Die einzige Möglichkeit
war, wie in dem heutigen Rathaus Saal zu erkennen ist, das gesamte
Gebäude ein Fenster breit nach Süden zu versetzen. Ein solches
Misrachfenster hat sich gemeinsam mit der kleinen Eisentruhe, jetzt
zugemauert, in der Ostwand der großen Rathaushalle erhalten.
Diese Baumaßnahme
weißt unmissverständlich auf den architektonischen Tatbestand einer
Trennung (Wand) zwischen dem großen und kleinen Saale hin.
Eine Frage quälte
mich allerdings seit Jahren. Warum wurde zwischen dem Rathaussaal und
der Ratsstube nicht wie üblich eine Fachwerkwand, sondern eine
starke Bohlenwand gesetzt? Ein Satz, kürzlich im Buche von Simon
Paulus entdeckt, löste durch seine Einfachheit bei mir einen
Freudenschrei aus. Aus Simon Paulus: In einer Jeshiva (Lehrsaal)
saßen die Studenten ,,mit den Rücken zum Aaron ha qodesh
(Thoraschrein)'', obwohl ,,man nicht mit dem Rücken zum Aaron ha
qodesh steht''. Wenn die Jünger (Schüler) mit dem Rücken zur
Ostwand sitzen, schauen sie auf die Westwand. Im Mühlhäuser Rathaus
wäre das der Blick auf die Wand aus starken Bohlen. Was befindet
sich bis zum heutigen Tage in jedem Klassenzimmer? – Eine
Schultafel !
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Was kann so schaebig sein am altehrwuerdigen Saal des stolzen Rathauses, daß man eine Wand zum Verdecken von ...?? ... davorsetzen wollte?
Frisch vermauerte Wand an der Westseite der Rathaushalle aus dem Jahre 1913/14, dahinter ist die Bohlenwand mit der vermuteten einstigen Schultafel der wahrscheinlichen juedischen Schule.
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Um den
mittlerweile recht schäbigen Anblick der Wand aus Brettern zu
verbergen, setzte man um 1914 eine Ziegelsteinmauer davor. Ich blicke
mit Vorfreude in jene Zukunft, in der man durch Öffnung des
Mauerwerks eine siebenhundert Jahre alte Schultafel zum Vorschein
bringt. Damit der realen Gefahr des Abwertens als Phantasterei des
hier Dargelegten im Voraus widersprochen werden kann. Aus Die
Architektur der Synagoge im Mittelalter von Simon Paulus: „Der
fließende funktionelle Übergang äußert sich auch darin, dass in
den Fällen, wo es zur Einrichtung einer eignen Talmudhochschule
(Jeschiva, Bet Midrach) kommt, in diesen Räumlichkeiten von den
Studenten auch der Gottesdienst abgehalten wird.“ Oder aus
Allgemeine Beiträge zur Jüdischen Geschichte in Augsburg: ,,War
die Synagoge der religiöse Mittelpunkt der Gemeinde, so bildete die
Judenschule den kommunalen; sie war Rathaus und Gerichtsgebäude
zugleich.
Der
Judenmeister galt als Judenrichter, die zwölf Männer des
Gemeinderates fungierten bei Gerichtsverhandlungen als Schöffen.
Natürlich erstreckte sich die Kompetenz des Jüdischen Gerichtes nur
auf die Streitigkeiten untereinander. Leibesstrafen jedoch konnte nur
der Vogt verfügen. Bei Streitigkeiten zwischen Christen und Jud hat
ein gemischtes Gericht aus zwölf Christen und auch zwölf Juden
bestehend zusammen...''
Erwähnenswert ist
dabei, dass für die Wahl der zwölf jüdischen Schöffen nur
Deutsche, nicht Wällsche Juden (das heißt Fremde, z. B. Engländer,
Franzosen) ernannt wurden.
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