Dienstag, 24. Juni 2014

...EINE 700 JAHRE ALTE SCHULTAFEL HINTER DER ZIEGELSTEINMAUER .....?

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Thueringer Allgemeine 19.10.13  Artikel 30

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Bilder im Rathaus erzählen Fabeln mit Reineke Fuchs. Hierzu finden sich religiöse Bezüge. So etwa schreibt Jutta Schuhmacher in S´efer Mi´slé Su´olim Folgendes: „In der religiösen und weltlichen hebräischen Dichtung galt es als besonders kunstvoll, möglichst viele Zitate und Wendungen aus dem originären biblischen Texte zu lösen und zu einem inhaltlich eigenständigen Werke zusammenzusetzen. Zweck dieser stilistischen Eigenart war es, den Leser jeglicher Lektüre auf spielerische Weise mit der heiligen Schrift zu verbinden.“ Wenn in den Fuchsfabeln in der großen Rathaushalle des Mühlhäuser Rathauses Bibelzitate zu finden sind, so fragt sich, für welche Besucher sie gedacht sind, um auf spielerische Weise in die heiligen Bücher einzuführen.

Auffallend ist zunächst, dass diese Abbildungen – anders als in der kleinen Rathaushalle – nicht in einer Flucht stehen und dass die Tonne unterschiedliche Höhen aufweist. Dafür muss nach meiner Ansicht ein liturgischer Grund vorliegen. - Im Talmud heißt es, die Synagoge sollte im jüdischen Wohnviertel möglichst das höchste Gebäude sein (kleine Rathaustonne).

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Im Gewirr von Gassen das Muehlhaeuser Rathaus mit liturgischer Ost - West - Ausrichtung; Beim hoechsten Gebaeude des Ensembles mueßte es sich um die Synagoge handeln mit dahinterliegemder Judenschule (Jeshiwa).

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 An das Gotteshaus wird in einigen Fällen ein Lehrsaal (Judenschule) angebaut, doch ist dies in der Regel eher bei wohlhabenden Gemeinden der Fall. Da dort gelehrt und gebetet wird, setzt dies ein Misrach, ein nach Osten ausgerichtetes Fenster voraus.

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Rest der Ostwand mit dem Misrachfenster am kleinen Aufgang zum heutigen Suedfluegel des Muehlhaeuser Rathauses

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Dieses Gebäude konnte mit dem Misrachfenster in Mühlhausen nicht nach Norden gebaut werden, in diesem Falle man den Zugang zum Judenhof (heute Eingang zum Ratskeller) verbaut. In die Höhe zu bauen war ausgeschlossen, da die Synagoge als höchstes Gebäude zeichnet. Die einzige Möglichkeit war, wie in dem heutigen Rathaus Saal zu erkennen ist, das gesamte Gebäude ein Fenster breit nach Süden zu versetzen. Ein solches Misrachfenster hat sich gemeinsam mit der kleinen Eisentruhe, jetzt zugemauert, in der Ostwand der großen Rathaushalle erhalten.
Diese Baumaßnahme weißt unmissverständlich auf den architektonischen Tatbestand einer Trennung (Wand) zwischen dem großen und kleinen Saale hin.

Eine Frage quälte mich allerdings seit Jahren. Warum wurde zwischen dem Rathaussaal und der Ratsstube nicht wie üblich eine Fachwerkwand, sondern eine starke Bohlenwand gesetzt? Ein Satz, kürzlich im Buche von Simon Paulus entdeckt, löste durch seine Einfachheit bei mir einen Freudenschrei aus. Aus Simon Paulus: In einer Jeshiva (Lehrsaal) saßen die Studenten ,,mit den Rücken zum Aaron ha qodesh (Thoraschrein)'', obwohl ,,man nicht mit dem Rücken zum Aaron ha qodesh steht''. Wenn die Jünger (Schüler) mit dem Rücken zur Ostwand sitzen, schauen sie auf die Westwand. Im Mühlhäuser Rathaus wäre das der Blick auf die Wand aus starken Bohlen. Was befindet sich bis zum heutigen Tage in jedem Klassenzimmer? – Eine Schultafel !

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Was kann so schaebig sein am altehrwuerdigen Saal des stolzen Rathauses, daß man eine Wand zum Verdecken von   ...?? ...  davorsetzen wollte?


Frisch vermauerte Wand an der Westseite der Rathaushalle aus dem Jahre 1913/14, dahinter ist die Bohlenwand mit der vermuteten einstigen Schultafel der wahrscheinlichen juedischen Schule.

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Um den mittlerweile recht schäbigen Anblick der Wand aus Brettern zu verbergen, setzte man um 1914 eine Ziegelsteinmauer davor. Ich blicke mit Vorfreude in jene Zukunft, in der man durch Öffnung des Mauerwerks eine siebenhundert Jahre alte Schultafel zum Vorschein bringt. Damit der realen Gefahr des Abwertens als Phantasterei des hier Dargelegten im Voraus widersprochen werden kann. Aus Die Architektur der Synagoge im Mittelalter von Simon Paulus: „Der fließende funktionelle Übergang äußert sich auch darin, dass in den Fällen, wo es zur Einrichtung einer eignen Talmudhochschule (Jeschiva, Bet Midrach) kommt, in diesen Räumlichkeiten von den Studenten auch der Gottesdienst abgehalten wird.“ Oder aus Allgemeine Beiträge zur Jüdischen Geschichte in Augsburg: ,,War die Synagoge der religiöse Mittelpunkt der Gemeinde, so bildete die Judenschule den kommunalen; sie war Rathaus und Gerichtsgebäude zugleich.
Der Judenmeister galt als Judenrichter, die zwölf Männer des Gemeinderates fungierten bei Gerichtsverhandlungen als Schöffen. Natürlich erstreckte sich die Kompetenz des Jüdischen Gerichtes nur auf die Streitigkeiten untereinander. Leibesstrafen jedoch konnte nur der Vogt verfügen. Bei Streitigkeiten zwischen Christen und Jud hat ein gemischtes Gericht aus zwölf Christen und auch zwölf Juden bestehend zusammen...''
Erwähnenswert ist dabei, dass für die Wahl der zwölf jüdischen Schöffen nur Deutsche, nicht Wällsche Juden (das heißt Fremde, z. B. Engländer, Franzosen) ernannt wurden. 

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